Rückblick und Vorschau auf Dhoruba 2022
Dhoruba bin Wahad hat in einer 10 tägigen Europareise verschiedene europäische Metropolen besucht, um einerseits eine Analyse der aktuellen, politischen und ökonomischen Situationen zu diskutieren und andererseits von Aktivisti:nnen zu erfahren, wie ihre politische Arbeit lokal und vor Ort aussieht. Lokal in einem Europa, indem der nationale Sicherheitsstaat entschlossen seine repressiven Maßnahmen ausbaut und ausrollt. Diese Politik wird beständig über das Prinzip der Isolierung und Kriminalisierung bestimmter Positionen mit der Integration einiger Weniger zur Kontrolle Aller perfektioniert.
- Die Reise
Dhoruba besuchte Wien, Berlin, Paris, Rom und Frankfurt am Main und traf unterschiedlichste Gruppen und Generationen, die in den verschiedensten Bereichen arbeiten. Menschen aus Palästina Solidaritätsbewegungen, Initiativen die gegen die staatliche Repression vorgehen, Unterstützungsgruppen für Geflüchtete, kämpferische feministische Buchhandlungen, linke Medienprojekte, muslimischen Selbstorganisierungen abseits der institutionellen Integrations- und Anpassungsbestrebungen, selbstorganisierte Grassroots Gewerkschaften im Logistik Bereich, deren Mitglieder aus über 40 Nationen stammen, Student:innnen die dem organisierten und akademischen Rassismus am Campus begegnen.
Generell können wir sagen, dass bei aller Unterschiedlichkeit der Situation in den verschiedenen Metropolen im EU/NATO Raum (vor allem ökonomisch, aber auch politisch und historisch) es trotzdem große Gemeinsamkeiten gibt. Diese Gemeinsamkeiten wären das brüchige Bewusstsein für die eigene Geschichten (was nicht unbedingt mit Wissen zusammenhängt) und die daraus folgende Vereinzelung bzw. die Schwierigkeit Gemeinsamkeiten in einer praktischen Politik zu finden. Diese europäische Krankheit ist deswegen so schwerwiegend, weil der Staat (und die Staaten) all das in seinem Bewusstsein besitzt – das institutionelle Wissen, wie er Menschen gegeneinander aufbringen kann, sie daran hindert, lokal zu handeln und dabei Global zu denken.
Im Zuge der Tour mit Dhoruba bin Wahad wollen wir auf zwei Ereignisse von institutionellem Rassismus hinweisen, weil wir denken dass sie symptomatisch für dieses verkommene Europa sind. Zum einen gab es wiederholt eine geplante rassistische Intervention des Rektorats der Universität Wien gegen Dhoruba bin Wahad, indem die Universität kurz vor der geplanten Veranstaltung den Zutritt zu dem gemieteten Raum verweigerte. Die Initiative für diesen rassistischen Übergriff kam von Seiten der offiziellen Student:innenvertretung und einer jüdisch-zionistischen Siedlergruppe auf der Universität, die mit dem Schutz des World Jewish Congress agiert.
Der zweite rassistische Übergriff passierte im Bereich der Sicherheitskontrolle am Flughafen Rom (FCO) durch die italienische Grenzpolizei. Dhoruba bin Wahad sollte einer gesonderten „Sicherheitsbehandlung“ unterzogen werden, die er nicht akzeptierte. Mehrere Beamte versuchten Dhoruba von seinen Begleiteri:nnen gewaltsam fernzuhalten.
Beide Ereignisse sind nicht ungewöhnlich im Umgang mit schwarzen Aktivisti:nnen in Europa, die sich dem Narrativ von weißer Vorherrschaft entziehen und den Rassismus von Behörden nicht über sich ergehen lassen.
Und auch die Reaktion, der Umgebung, die Augenzeugen, die diese Ereignisse mitbekommen haben, sind nicht ungewöhnlich und müssen trotzdem bemerkt werden. Bis heute hat weder eine Student:innengruppe, noch ein/e Wissenschaftler:in der Universität Wien irgendeine Form von Protest eingelegt oder sich mit Dhoruba bin Wahad solidarisch erklärt. Niemand, bis auf die Kommunistische Jugend Wien, die Dhoruba bis heute zur Seite stand und steht. Niemand bis auf eine Wissenschaftlerin der Universität Wien.
Am Flughafen haben viele Reisende den rassistischen Übergriff auf Dhoruba bin Wahad mitbekommen und geglotzt. Diese zwei „George Floyd Effekte“ werden wir nicht vergessen. Die Passiven und Schweigenden sind complicit. Diejenigen über hundert Besucher:innen, die Dhoruba am Podium stehend applaudierten, obwohl er noch kein Wort gesagt hatte, werden auch nicht vergessen. Diese Menschen stehen den Schweigenden gegenüber.
- Die Botschaft
Dhoruba bin Wahad geht davon aus, dass wir heute in einem historischen Moment leben, indem ein paar Wenige die Zukunft des gesamten Planeten durch ihr Handeln zerstören können. In seinem Vortrag machte Dhoruba bin Wahad einen Sprung in die Geschichte, in der schon mal ein paar Wenige (Staaten) die Zukunft der meisten Teile der Welt (der globale Süden) nachhaltig negativ beeinflussten. Zwischen dem Berliner Kolonialkongress von 1878 und 1917/18, dem Ende des ersten imperialistischen Verteilungskrieges, haben die europäischen Staaten und im späteren Verlauf die USA den Rest der Welt so unter sich aufgeteilt, dass die Ausbeutung bis heute nachhaltig garantiert wurde. Der zweite imperialistische Verteilungskrieg (1933-1945) war dann nur noch eine Vollendung des Verteilungsprozesses, der die Supermacht USA aufkommen ließ.
Die willkürlich gezogenen Grenzen in Afrika und die Aufteilung von al-Sham (Palästina, Libanon, Syrien) durch England und Frankreich bestimmen seit mehr als hundert Jahren die relative Machtlosigkeit des globalen Südens. Was Lenin 1917 so treffend in „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ analysierte, jedoch seine Elastizität und Überlebensfähigkeit nicht mal erahnen konnte, wurde erst durch die Erfahrung der antikolonialen Kämpfe neu betrachtet und bewertet. Kwame Nkrumah hat dies auf eine neue Ebene gehoben, indem er 1965 Lenins Arbeit aktualisierte und herausarbeitete, wie der Neokolonialismus die letzte Stufe des Imperialismus ist.
Diesen Ausgangspunkt oder wenn man so will – diesen Hauptwiderspruch -, die (neo)-kolonialen Verhältnisse, lehnen viele Linke in Europa bis heute ab anzuerkennen, ignorieren und sogar diffamieren dieses Faktum, sodass sie in ihrer Bedeutungslosigkeit einem weißen Proletariat hinterherrennen. Oder aber in den Nischen der staatlichen Institution ihre geduldeten Freiräume zelebrieren. Denn auch die Unsichtbarmachung des globalen Proletariats, welches nicht um höhere Löhne, sondern um Überleben kämpft, ist eine Form von Kultur der white supremacy. Denn das globale Proletariat ist weder weiß, noch marxistisch geschult. Die Menschen in den westlichen Metropolen sind zum Großteil längst von ihrer ökonomischen Basis und ideologisch auf die Seite der Herrschenden gewechselt. Und natürlich hat der historische Faschismus in seiner Bestialität auch Teile des Klassenbewusstseins, aber vor allem des gelebten Internationalismus in den Konzentrationslagern verbrannt.
Dhoruba bin Wahad sieht die Entstehung der heutigen modernen Version der Mentalität von White Supremacy in Europa, den USA und Israel in einer Zeit des endenden 19. Jahrhunderts. Die Eliten Europas waren damals mit einem kollektiven Bewusstsein der arbeitenden Massen konfrontiert, das die Möglichkeit eines revolutionären Umbruchs wahrscheinlich machte. Die Eliten aus Politik und Wirtschaft in allen Ländern Europas mussten Konzepte entwickeln, die diese Massen, die bereit waren füreinander einzustehen und im Wissen um ihre Stärke durch Einheit die Macht den Mächtigen zu entreißen, unter Kontrolle zu bringen.
Kontrolle der arbeitenden und entrechteten Massen in Europa konnte nicht nur durch die Zerstörung des Kollektiven geschehen, sondern es musste den Menschen etwas anderes Ideelles gegeben werden: die Nation und die Rasse. Dhoruba bin Wahad verweist auf das Werk von Gustav leBon „Psychologie der Massen“ von 1885, das die faschistischen Bewegungen in Deutschland und Italien stark beeinflusste. Diese Bewegungen waren es schlussendlich, die in den Staaten Deutschland und Italien, in denen man Revolutionen voraussagte, auch die Kontrolle über die Massen erlangten, indem sie rhetorisch vom „gemeinsamen“ und „sozialen“ sprachen, aber die Kollektivität erst im Bewusstsein und dann in den Vernichtungslagern auslöschten. Das Entstehen einer Mob-Mentalität benötigt die Entfremdung von sich und der eigenen Klassen, um dann für Nation und Rasse auf marginalisierte, ausgesonderte und als „Fremde“ markierte Teile der Gesellschaft loszugehen. Die Deklassierten selbst übernehmen das „geborgte“ Bewusstsein (Marx) und es wird nach Gramscis bitteren Erfahrungen auch zum „eigenen“ Bewusstsein.
Dhoruba gab als Bespiel auch immer wieder die Erstürmung des Capitol Hill bei der Abwahl von Donald Trump an. Die Leute haben sich selbst bei der Erstürmung gefilmt und damit für die folgenden Strafverfahren die Beweise selbst geliefert. Dies haben sie aus der tiefen Überzeugung heraus getan, dass sie alle Rechte dazu haben. Rechte, die sie niemals einer schwarzen Person zugestehen würden. Dhoruba will uns damit die Gefährlichkeit von dummen und ignoranten Menschen näherbringen, weil sie im Mob unberechenbar sind.
Diese Form der Entfremdung der Massen der europäischen Gesellschaft von sich selbst, hat sich nicht mit dem Ende des Faschismus aufgelöst, sondern vertieft. Vertieft und unter den Bedingungen liberaler Demokratien weiterentwickelt. Das ist der Grund warum Dhoruba vom Demokratischen Faschismus spricht, in der die Methoden des Staates in der Krise verdeckt oder offen faschistisch sind, aber politisch durch Wahlen und öffentliche Teilnahme, Partizipation und Demokratie suggerieren.
Warum unter den Bedingungen der fortschreitenden politischen und ökonomischen Krise in den westlichen Ländern trotzdem relative Ruhe herrscht bzw. Unruhe immer wieder unter Kontrolle gebracht werden kann, liegt auch darin begründet, dass unser aller Fähigkeiten, Realitäten zu erkennen, sehr beschränkt geworden ist.
Internet und die sogenannten sozialen Medien haben sich zu dem perfektesten Kontrollinstrument herauskristallisiert, indem nicht nur Individualismus zu einer noch extremeren Form von europäischer Kultur geworden ist. Die Wahrnehmung (eines Bildes oder Films) wird zur Realität. Und das Medium wird zur Botschaft, nicht mehr der Inhalt. Die Grundlage der gesellschaftlichen Debatten, egal ob sie von progressiven oder rechten Szenen geführt werden, basieren auf Bildern und Sequenzen in Kurzvideos. Die verschmierten Gummistiefel einer politischen Führungsperson bei der Begutachtung einer Flutkatastrophe oder das kaputte Handydisplay eines Profifußballers werden zum Ausgangs- und Endpunkt von Diskussionen, über die Rechtschaffenheit oder Seriosität einer Person. Perzeption wird zur Realität. Und das Medium zur Botschaft, denn die verschmierten Gummistiefel oder das kaputte Handydisplay bekommen nur über Konzerne wie Instagram, Twitter oder TikTok Bedeutung. Sie bekommen reale Bedeutung, weil sie den Mob mobilisieren und können somit zur realen Bedrohung werden. Die rote Kappe mit dem Schriftzug „Make America Great Again“ auf dem Kopf eines weißen Crackers in einer Kleinstadt von Montana ist absolut irrelevant. Es ist der persönliche Ausdruck von der Kultur weißer Vorherrschaft. Der Satz bekommt dann Bedeutung, wenn er vom PR Büro des amerikanischen Präsidenten auf Twitter gepostet wird. Dann wird das Medium der Eliten (Twitter, Insta, …) zum Mobilisator der Massen, was direkt zu tödlichen Polizeiangriffen auf schwarze Menschen führt oder Milizen bei der Planung ihrer Pogrome befeuert.
Diese Problematik ist nicht begrenzt auf bestimmte Teile der westlichen Gesellschaften. Sie ist integraler Bestandteil des westlichen Lebensstils geworden und gerade sich selbst als links oder fortschrittlich verstehende Gruppen und Personen unterliegen diesen Mechanismen moderner und interaktiverer Medien- und Meinungsproduktion, weil sie trotz der Kritik an staatlichen Maßnahmen dem Staat nach 1945 und den von ihm geschützten (Medien) Industrien als neutral ansehen.
Wenn ein schwarzer Aktivist auf einer propalästinensischen Demonstration in einer mehrminütigen Rede das Schweigen zum Unrecht in Palästina in Verbindung bringt mit dem Schweigen der vieler Menschen in der Zeit des deutschen Faschismus und dabei mit einer Geste einen Hitlergruß andeutet, ist es klar, dass die Unterstützer:innen des europäischen Siedlerstaates die Rede auf diese Geste reduzieren. Dass dann aber vermeintliche solidarische Kreise auf den Zug der „Perception is Reality“ aufspringen, und über diese Geste diskutieren (wollen), ist ein enormer Gewinn für den Lebenserhalt von Twitter und Co. und ist die Reproduktion von Kontrolle und Herrschaft.
Dhoruba bin Wahad forderte 2018 die westlichen Gesellschaften, also uns, dazu auf eine Operation am offenen Herzen durchzuführen, sonst seien wir verloren. Nun, viel Hoffnung besteht nicht. Manchmal hat man den Eindruck die Debatten wiederholen sich von Jahr zu Jahr. Sie werden hohler und hohler und erfinden sich aber auch ständig wieder neu. In diesem Trend sieht sich Dhoruba oft in die Zeit der Black Panther Party for self-defense zurückversetzt, als der Staat bewusst mit seinen Institutionen bestimmte Debatten zuließ und integrierte, um radikale Politiken der grundsätzlichen Veränderung zu isolieren – einzukapseln (encapsulation). Diese Einkapselung funktioniert in einer bürgerlichen Demokratie nur auf dem Weg des Einsatzes hybrider Methoden. Dazu gehört natürlich die verdeckte und offene Repression durch Polizei und Justiz. Flankiert wird es aber auch durch staatlich gelenkte Drogenpolitik, um die Massen ruhig zu halten. An einem anderen Ende dieser Politik der Einkapselung setzt die öffentliche Debatte an. Die beständige Relativierung des staatlichen Rassismus und der Kriegspolitik durch Intellektuelle. Diese Beispiele einer sogenannten Zivilgesellschaft, die sich zwar unwohl im Angesicht der Widersprüche kapitalistischer Politik fühlt, aber Veränderung instinktiv verweigern muss, weil dies die Abgabe von Privilegien bedeuten würde. Hier wirken die Perzeptionen der neuen Massenmedien (Twitter, Insta,..) besonders. Die sich selbst als links(radikal) verstehende und verortende Zivilgesellschaft (zum Beispiel die deutsche/österreichische ANTIFA, ein Außenposten deutscher Außenpolitik) legitimiert ständig den expansiven und kriegerischen Staat, indem sie sich an Debatten beteiligen, um Positionen und Gruppen auszugrenzen.
Diese Systematik funktioniert nur weil wir alle von einer eigenen Geschichte (der Geschichte der nicht-Herrschenden) abgetrennt sind und der Staat seine Geschichte institutionalisiert hat.
- Die Aufgabe
Diejenigen, die es schaffen einer Politik der Symbolik zu entkommen (Oranienplatzpolitik),
Diejenigen, die ihre Debatten nicht am Narrativ der EU/NATO Politik orientieren,
Diejenigen, die in der Lage sind sich klar und eindeutig zu positionieren,
Diejenigen, die der Pseudopolitik auf Instagram und Co. entkommen wollen,
sollten:
Initiate a United solidarity front against:
1. EU rise of right Rightwing Fascism and US Militarism employing NATO forces.
2. Demanding AFRICOM and EU/NATO out of Africa and West Asia
3. EU racist policies, Islamophobia and Migrant discrimination.
4. Support and solidarity planning with BDS and other Palestinian Solidarity Campaigns and Movements5. Unifying Political Prisoner Freedom campaigns.