Leopold II., Macron und andere Kannibalen[1] – Die Tendenz zum totalen Krieg gegen Afrika

1. Kolonialismus macht was – mit uns.

„Die koloniale Welt ist eine manichäische Welt. Dem Kolonialherrn genügt es nicht, den Lebensraum des Kolonisierten physisch, das heißt mit Hilfe seiner Polizei und seiner Gendarmerie, einzuschränken. Wie um den totalitären Charakter der kolonialen Ausbeutung zu illustrieren, macht der Kolonialherr aus dem Kolonisierten eine Art Quintessenz des Bösen. Die kolonisierte Gesellschaft wird nicht nur als eine Gesellschaft ohne Werte beschrieben. Es genügt dem Kolonialherrn nicht, zu behaupten, die Werte hätten die kolonisierte Welt verlassen oder, besser, es habe sie dort niemals gegeben. Der Eingeborene, heißt es, ist für die Ethik unerreichbar, ist Abwesenheit von Werten, aber auch Negation der Werte. Insofern ist er das absolute Übel: ein zersetzendes Element, das alles, was mit ihm in Berührung kommt, zerstört, alles, was mit Ästhetik oder Moral zu tun hat, deformiert und verunstaltet, ein Hort unheilvoller Kräfte, ein unbewußtes und nicht faßbares Instrument blinder Gewalten.“ (Frantz Fanon)

Genozid oder genozidal, Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Holocaust oder Black Holocaust, Massaker oder Massenmord,… sind die Begriffe, mit denen wir heute die Situation im zentralen Afrika beschreiben könnten, um letztlich festzustellen, dass die totale Eskalation des Spätkapitalismus in seinen Erscheinungsformen unbeschreiblich ist und so noch nie beschreibbar war.

Aber vielleicht ist der Genozid an 10 Millionen Menschen im sogenannten „Kongofreistaat“ zwischen 1880 und 1908 durch das belgische Könighaus nicht das Unbeschreibliche, sondern dass Historiker nicht sicher sind über das Wie viele, Wieso und Weshalb. Weshalb heute auch die UN, Human Rights Watch und Wikipedia im Grunde nicht sicher sind, wie viele Menschen getötet wurden und wer daran die Schuld trägt. Und das bezieht sich vor allem auf die Millionen Toten, die seit 1990 durch europäische und US amerikanische Politik in dieser Region Afrikas massakriert wurden – zum Wohle des globalen Nordens.

Das Rätseln über Schuld, Schuldige und Ursachen sowie das ständige Rätseln über Zahlen und Quantität der kolonialen Geschichte und Gegenwart ist letztendlich eine Immunisierungstherapie, in der die europäischen Gesellschaften Zeit gewinnen wollen. Zeit, die sie benötigen, um die gegenwärtigen Verbrechen zu rechtfertigen. Diese bestialische Gegenwart kann aber nur neue Rechtfertigungen finden, indem die Vergangenheit geleugnet, verharmlost, verfremdet oder verklärt wird.

Die europäischen Gesellschaften sind auf der Flucht vor sich selbst, ihrer Geschichte des Kolonialismus, ihrer Verantwortung für ihren Reichtum und des produzierten Elends, und doch gleichzeitig in den permanenten Genozid an den Menschen im globalen Süden verstrickt. Das Unbeschreiblichste scheint unser aller Unfähigkeit zu sein, unsere eigenen Fluchtursachen, unsere Flucht vor uns selbst bekämpfen zu können. Das Unvermögen im Manichäismus unserer Lebenswelt zu erkennen, dass nämlich nördlich des Mittelmeeres und des Rio Grande die Auserwählten, die electi leben. Diejenigen – wir -, die das Recht zum Leben haben und in unserer Beziehungs,- Gefühls- und Protestwelt meistens die falschen Schlüsse ziehen:

a) Rassismus:

Rassismus will von der bürgerlichen Gesellschaft in den europäischen und US-amerikanischen Metropolen nicht verstanden, aber vermieden werden. Rassismus wird auf die persönliche und zwischenmenschliche Ebene reduziert und dort als lösbar angedacht: die Erscheinung wird bekämpft. Wie jedoch Stokely Carmichael/Kwame Toure bemerkte, ist Rassismus von einer Person gegen ein andere Person ein Problem zwischen zwei Personen. Rassismus ist immer ein Machtverhältnis, erst wenn die eine Person (bzw. Personengruppe) vom Staat de jure oder de facto die Macht bekommt, rassistisch zu sein, Rassismus auszuüben, dann ist Rassismus institutionalisiert und wirkmächtig. Erst auf dieser institutionalisierten Ebene bekommt Rassismus Bedeutung:

Die Bedeutung, in den westlichen Metropolen die Ordnung aufrechtzuerhalten, d.h. den Aufstand, die Revolte zu verhindert oder zu kanalisieren. Die politische Situation soll permanent bleiben; die militärische Situation soll die Ausnahme, die ultima ratio bleiben (dann nämlich, wenn im Hambacher Forst jemand zu Tode kommt oder Gelbwesten von Sonderkommandos der Polizei fast zu Tode geprügelt werden). Die pemanente, offene, brutale Gewalt, die sonst überall im globalen Süden herrscht – der Krieg, das Aushungern, das Morden, die Vertreibung – im bürgerlichen Staat nach 1945 soll es nach Möglichkeit dazu gar nicht erst kommen.

Die Bedeutung der Legitimation. Europäische und US-amerikanische SoldatInnen und Waffen aus europäischer, US-amerikanischer und israelischer Produktion können die Menschen in Afghanistan, Somalia, Mali und Syrien nur abschlachten, wenn diese zuvor entmenschlicht wurden. Der islamfeindliche Diskurs hat eine innere, aber vor allem auch eine äußere Ebene und Bedeutung; den Krieg gegen die Länder des globalen Südens (mit oftmals muslimischer Bevölkerung) zu führen und ohne nennenswerte Störung führen zu können.

Rassismus ist ein integraler Bestandteil der globalen Macht- und Ausbeutungsverhältnisse.

b) Pseudofaschismus

Jeder neue Naziaufmarsch und der Durchmarsch von neuen rechten Parteien durch die bürgerliche Demokratie, wird hier in Europa von sich politisch bewegen-wollenden Gruppen und Szenen dazu genutzt, um endlich wieder „Faschismus“ schreien zu können. Wozu?

Die Negierung vom permanent faschistischen Charakter der kolonialen und neokolonialen Situation, den Rassismus vom eigenen linksliberalen Sein abzuspalten und auf einen zugegebenermaßen noch hässlicheren politischen Gegner projizieren zu können. Die fantasierte drohende Machtergreifung à la 1933 zwingt gerade dazu, den Blick vom methodisch faschistischen Marktgesetz im globalen Süden abzuwenden (der ganz ohne den ideologischen, offenen, deklarierten Faschismus auskommt), und den Blick auf eine mehr oder weniger offen faschistischen Rechte hinzuwenden, die sich selbst martialisch redet, aber in der Umsetzung die Noske[2] Demokratie fortführt – im Notfall ein paar Schädel einschlagen, um die Ordnung wiederherstellen, aber dann wieder die politische Situation zur Befriedung zu nutzen.

Die Inflation des Faschismus-Begriffs dient der Flucht vor dem Blick der eigenen Beteiligung – aktiv oder passiv, gewollt oder gezwungen – an den brutalen Verhältnissen im globalen Süden.

c) Pseudoaktivismus

Diese in größeren Abständen stattfindenden und an Attraktivität nicht abnehmenden Bekundungen des nationalisierten bürgerlichen Antifaschismus, die jegliche Verweise auf die globalen Machtverhältnisse tunlichst vermeiden, sind eine beständige Form der Selbstvergewisserung, dass Europa im Zentrum der Welt steht. Trotz dieser Selbstvergewisserung und trotz der Abschottung vom Rest der Welt bleibt es anscheinend notwendig, ritualisierte Handlungen in das tägliche Leben auf Kosten der Anderen einfließen zu lassen. Veränderung durch Konsum, sogenannter „Fair Trade“ ist etikettierter und gewinnbringender Teil des Marktes geworden – nicht um Alternativen zu schaffen oder auch nur aufzuzeigen, sondern um die Zustände und das Gewissen erträglicher zu machen.

2. Der Mythos des Postkolonialen.

„Es wurden künstliche Grenzen gezogen, und den Leuten wurde wohl oder übel Unabhängigkeit gewährt. Aber einige Staaten haben seitdem keinerlei Zugang zum Meer und keine Möglichkeiten, die Bodenschätze zu exportieren, während ein anderer Staat jede Menge Häfen, aber keine Bodenschätze hat. In einem Staat wird französisch gesprochen, in den anderen spricht man Englisch, und die Franzosen und die Engländer agieren als Vermittler. Nach dem Motto: Wir exportieren Eure Erzeugnisse; wir bauen eine Eisenbahn für Euch; wir schicken Eure Kinder auf die Sorbonne und bilden sie für Euch aus. Danach bringen wir diese Eliten wieder zurück, damit sie über Euer Volk herrschen können. Damit sind wir bei der Entwicklung des Neokolonialismus angelangt. Neokolonialismus als letzte Stufe des Imperialismus.“ (Dhoruba al-Mujahid bin Wahad, 1992)

Nicht wegen der Unbeschreiblichkeit dessen, was unmittelbar nach 1990 für den globalen Süden losbrach, haben WissenschaftlerInnen wie beispielsweise Gayatri Spivak das „Postkoloniale“, die sogenannte postkoloniale Theorie erfunden. Eine Theorie, die zwar koloniale Erscheinungen benennt und auf antikoloniale TheoretikerInnen hier und da verweist, aber in ihrer Theorie (!) das „Ende der Geschichte“ einer imperialistischen und kolonialen Geschichte suggeriert und vermittelt, und in weiterer Folge die neuen und zukünftigen Kämpfe aus der Geschichte des Widerstands herauslöst – und damit tendenziell DELEGITIMIERT.

Diese Figuren des modernen Wissenschaftsbetriebs haben zum Teil erfolgreich die Risse (auch die im Denken der Metropolenmenschen), die die Befreiungskämpfe im globalen Süden ausgelöst und vertieft hatten, zugeschüttet. Die realen Perspektiven der antikolonialen Befreiung und ihre reale spürbare Menschlichkeit wurde mit dieser „high end Intellektualität“ – die wie Beton wirkt – versiegelt; Universitäten und Akademien in den USA und Europa sind zu Sarkophagen geworden. Dort wird jedoch nicht gleich zugeschüttet, ohne vorher noch die brauchbaren d.h. in der industriellen Wissensproduktion verwertbaren Teile herauszuwaschen, zu deformieren und zerstückelt in die Hörsäle der europäischen und US-amerikanischen Universitäten zu werfen. Frantz Fanon, Che Guevara, Ho Chi Minh, Ali Shariati, Malcolm X, Fred Hampton wurden am postulierten „Ende der Geschichte“ – wenn überhaupt – nur zerstückelt und ohne jeglichen Kontext benutzt (!) und VERWERTET. Professor Greg Thomas von der Tufts Universität schreibt bezüglich der Verwertung der Texte von Frantz Fanon: „Kurz gesagt, für die Geisteswissenschaften der Mainstream-AkademikerInnen im Allgemeinen und für die ‚postkolonialen Studien‘ ist ‚Black Skin, White Masks‘ ein fetischisiertes Objekt – während ‚Die Verdammten dieser Erde‘ ein phobisches Objekt ist“.

Und weiter:

„Fanon kannte Kolonialismus. Als Denker des Kolonialismus, der auf eine Art dagegen vorging, wie es AkademikerInnen nur vermeiden, wenn nicht sogar verurteilen würden, theoretisierte und vertrat er ‚Antikolonialismus‘ – nicht so etwas wie ‚Postkolonialismus‘, so viel ist klar.“

Die Befreiungsbewegungen – sowohl jene, welche staatliche Macht erringen könnten, als auch jene, die vordergründig „erfolglos“ blieben – haben nachhaltig und tiefgehende Veränderungen für die Menschen im globalen Süden geschaffen. Auf ökonomischer, politischer, sozialer und kultureller Ebene wurde durch Süd-Süd-Kooperationen die neokoloniale Politik des reichen Nordens eingegrenzt, unterminiert und konnte sogar an bestimmten Schnittstellen gebrochen werden.

3. Rekolonisierung.

„AFRICOM ist eine ‚New Age Imperialist‘ -Truppe, ein US-amerikanisches militärisches Instrument von Imperium und Globalisierung, genau wie die NATO und andere geopolitische US-Militärinitiativen. AFRICOM ist nicht bestrebt, eine postkoloniale ‚Neo‘ -Kolonialbeziehung mit einem ehemaligen Kolonialgebiet herzustellen. Das ist die Essenz des Begriffs ‚neokolonial‘. Stattdessen versucht sie, Afrikas willkürliche und kolonialistische Balkanisierung des Kontinents kohärent zu organisieren und zu militarisieren, um die bereits an der Macht befindlichen Komprador-Klassen vor sich selbst zu schützen und dabei den ungehinderten Zugang zu den riesigen Ressourcen Afrikas zu gewährleisten. Es sei darauf hingewiesen, dass die Mehrheit der afrikanischen Nationen einen Pan-Afrikanischen gemeinsamen Markt schaffen würde, auf den nichtafrikanische Nationen handeln und handeln müssten. Dann wären die Agenden von AFRICOM ein Oxymoron. Die USA und ihre Verbündeten sind nicht dumm – sie wissen, dass ein Afrikaner mit einer Waffe und ohne Politik ein Verbrecher ist und dass Afrikaner mit Geschützen und Politik potentielle Revolutionäre oder Feinde sind. AFRICOMs Ziel ist es, so viele bewaffnete Kriminelle auf dem afrikanischen Kontinent zu schulen und zu erhalten, wie viele despotische Regime, Scheindemokratien und Diktatorengelder es zulassen. Fast jeder Putsch, der in den letzten 50 Jahren in Afrika seit der Entkolonialisierung durchgeführt wurde, wurde von ausgebildeten westlichen Soldaten durchgeführt – keiner dieser Putsche brachte fortschrittliche Regierungen an die Macht, nur versicherte europäische Interessengruppen wurden zum Schaden der einfachen Bevölkerung geschützt. Die wenigen Ausnahmen, die mir einfielen, waren Libyens und Burkino Fasos Staatsstreich, der von Sankara angeführt wurden. Amerika kann Afrika nicht militärisch besetzen, wie die alten Kolonialmächte einst ihre Kolonien besetzten. Der New Age Imperialismus fungiert als globales wirtschaftliches und militärisches Netzwerk, in dem der Krieg und die Kriegsgefahr die Wirtschaft der kapitalistischen Nationen stärken.“ (Dhoruba al-Mujahid bin Wahad)

Die alte Lüge der westlichen Entwicklungsagenturen „Hilfe zur Selbsthilfe“ anzubieten, wird durch die neue Lüge „Entwicklung durch Investition“ ersetzt. Die postmodernen Charaktermasken wie Kurz[3] oder Macron haben klar gemacht, wie das Verhältnis Europas zu den afrikanischen Ländern und Menschen aussehen wird: Die EU und Europa darf „Afrika nicht den Chinesen überlassen“. Die neuen Gesten der französischen Regierung[4] mit Rückgabe von Raubkunst, die Anerkennung einzelner(!) und individueller(!) Verbrechen während der algerischen Revolution sollen über die Militarisierung und Militäraktionen Frankreichs (mit 8 Militärbasen) hinwegtäuschen. Dabei Klatschen nur die Eliten. AFRICOM, MINUSMA (Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali), EUCAP (EU Capacity Building Mission) und EUTM Mali (European Union Training Mission Mali) sind die Militärbündnisse, die unter dem Slogan des „War on Terror“ die Durchsetzung und Absicherung westlicher Wirtschaftsinteressen gewährleisten.

Die sogenannten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) oder Economic Partnership Agreements (EPA) sowie ihre Anpassungen sind die Verschriftlichung der absoluten militärischen und ökonomischen Durchdringung des afrikanischen Kontinents der letzten 29 Jahre. Seit dem Fall der Sowjetunion ist der Wettlauf des globalen Nordens (EU, USA, Israel) um die besten Böden Afrikas neu- und wiederentbrannt.

Zwischen April 1994 und Juli 1994 starben in Ruanda 1 Millionen Menschen unter der Kenntnisnahme von UN, USA, GB, Belgien und Frankreich. Alleine in den sogenannten Kongokriegen zwischen 1996 und 2009 starben über 5 Millionen Menschen. Hier in Europa ist es lediglich ein paar kurzlebige Schlagzeilen und Dokumentationsfilme wert. Die schönen Silberrücken müssen dafür herhalten, die Leichenberge zu verbergen. Leopold der Kannibale wäre stolz darauf. Die Immunisierung der Bevölkerung in den reichen Metropolen des Nordens hat eine nie dagewesene und klassenübergreifende Qualität erreicht. Die sich selbstdisziplinierende Linke ist argumentativ im Jargon des Neoliberalismus angekommen.

Sukzessive werden und wurden bestimmte nationale Regierungen Afrikas entmachtet, wenn sie innerafrikanische Wirtschaftsprogramme oder Süd-Süd-Kooperationen verfolgen oder verfolgten und gleichzeitig im Fokus westlicher Ausbeutungsinteressen liegen. Auch die lokalen Eliten, die mit den neokolonialen Beziehungen reich geworden sind, geraten unter Druck. In einigen Fällen werden sie für die Interessen Europas und den USA unnötiger Ballast oder zum Problem, wenn sie sich Beispielsweise den Angeboten Chinas gegenüber interessiert zeigen.

Gleichzeitig sind Teile des afrikanischen Marktes zum Absatzmarkt für europäische Überproduktion aus dem supersubventionierten Agrarbereich geworden. Das vielbeschriebene Hühnerfleisch aus europäischer Produktion auf afrikanischen Märkten schafft es sogar in die wirtschaftsliberalen Zeitungen, um mit einer Erscheinung vom wesentlichen Widerspruch abzulenken.

Die Folgen schwindender Süd-Süd-Kooperation, die Öffnung der Märkte, die gezwungene Fixierung auf den Export von agrarischen Grundprodukten und mineralischen Rohstoffen nach Europa – all das verringert die schon knappen Staatseinahmen. Der Ausbau von Infrastruktur und eine mögliche Industrialisierung werden unterbunden, was seit jeher ein Hauptziel kolonialer Macht ist.

Die Wirtschaftsprognosen vom Brookings Institut lesen sich dann wie die Erklärungen eines neuen Produkts der Staubsaugervertreter. Gutes bis hohes Wachstum sagt Brookings[5] den afrikanischen Ländern voraus, die vor allem strategische Bedeutung besitzen und bereits Militärbasen der USA oder Verbündeter im Land haben und von wo aus der sogenannte „War on Terror“ Krieg mit Drohnen und Truppen massiv geführt wird. Hierzu zählen Länder wie Äthiopien und Kenia, die dann auch Tourismuswerbung als Beweis für Stabilität auf CNN einblenden dürfen, aber gleichzeitig das Aufmarschgebiet von AFRICOM sind. Das Wirtschaftswachstum solcher Länder besteht fast ausschließlich auf dem Dienstleistungssektor (Kenia 2018 mit einem Plus von 5,5)[6], der nicht beständig ist.

Ruanda steht natürlich auch ganz oben auf der Liste, weil es nicht nur die illegale Rohstoffausfuhr aus dem ostkongolesischen Kivugebiet garantiert, sondern jegliche politische, wirtschaftliche und militärische Veränderung im zentralen Afrika überwacht.

Dagegen sind Prognosen des Washingtoner Instituts für die traditionell reichsten Länder Afrikas wie Nigeria oder die Demokratische Republik Kongo düster. Nigeria ist einer der wenigen afrikanischen Nationen die das WPA (EPA) bisher nicht unterschrieben haben.

Das Kolonialsystem 2.0 oder die tendenzielle Rekolonisierung ist nicht einfach eine Wiederholung. Es ist die Eskalation des Spätkapitalismus, der auf der Suche nach Profitmaximierung die weitere Balkanisierung und Militarisierung Afrikas benötigt. In dieser tendenziellen Eskalation ist es nur logisch, wenn Wirtschaftswissenschaftler wie Paul Romer die administrative und politische Übernahme von bestimmten Zonen – sogenannten Sonderverwaltungszonen – im globalen Süden fordern. In diesen Sonderverwaltungszonen können Konzerne dann ohne nationales oder internationales Recht produzieren lassen. Dort Internierte (Romer beteuert dabei natürlich die „Freiwilligkeit“, nämlich zu verhungern oder in den Zonen zu überleben) werden die Deklassiertesten sein, d.h. Geflüchtete die auf dem Weg nach Europa oder in die USA gestrandet sind oder in großen Abschiebekampagnen in diese „Gebiete“ (im Romer-Jargon „Refugee Cities“ oder „Charter Cities“) deportiert werden. Lokale Regierungseliten verpachten die Sonderverwaltungszonen und verlieren damit de jure jeden Hoheitsanspruch und folglich jeden Anspruch der wirtschaftlichen Ausbeute. Diese partielle Rekolonisierung hat die USA schon mit der Regierung von Honduras im Testlauf erprobt.[7] Die kleinen Schreibtischtäter wie Paul Romer gelten in der linksliberalen Presse als nachhaltige Entwicklungspolitiker, die „Flüchtlingskrisen, Armut und Ungerechtigkeit“ bekämpfen. Die perfide (noch) herrschende Sozialdemokratie in Europa diskutiert die Romer-Camps unter dem schön klingenden Label „Fluchtursachen bekämpfen“. Die Immunisierung ist soweit fortgeschritten, dass Protest in der Welt des weißen Mannes und der weißen Frau ausbleibt.

Diese Eskalation erzeugt jedoch Widerstand und dieser Widerstand muss für den europäischen Wohlstand mit aller Macht niedergeschlagen werden.

„Das Zimmer des Herrn war weit offen. Das Zimmer des Herrn war hell erleuchtet, und der Herr saß da, ganz ruhig… und die unsrigen blieben stehen… es war der Herr… Ich trat ein. Du bist es, sagte er ganz ruhig zu mir… Ich war es, gerade ich, sagte ich ihm, der gute Sklave, der treue Sklave, der sklavische Sklave, und plötzlich waren seine Augen zwei verängstigte Schaben zur Regenzeit… Ich schlug zu, das Blut spritzte: das ist die einzige Taufe, an die ich mich heute erinnern kann.“ (Aimé Césaire, Et les chiens se taisaient. – aus Die Verdammten dieser Erde von Frantz Fanon)

Dar al Janub – Verein für antirassistische und friedenspolitische Initiative

Januar 2019

[1] Nach „Columbus and Other Cannibals: The Wétiko Disease of Exploitation, Imperialism, and Terrorism“, Seven Stories Press (2008), ISBN 1-58322-781-4 (deutsche Übersetzung: „Columbus und andere Kannibalen. Die indianische Sicht der Dinge“ sowie „Die Wétiko-Seuche. Eine indianische Philosophie von Aggression und Gewalt“ – 1981)

[2] Gustav Noske, sozialdemokratischer Minister und verantwortlich für die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Waldemar Papst zur Ermordung: „Daß ich die Aktion ohne Zustimmung Noskes gar nicht durchführen konnte – mit Ebert im Hintergrund – und auch meine Offiziere schützen musste, ist klar. Aber nur ganz wenige Menschen haben begriffen, warum ich nie vernommen oder unter Anklage gestellt worden bin. Ich habe als Kavalier das Verhalten der damaligen SPD damit quittiert, dass ich 50 Jahre lang das Maul gehalten habe über unsere Zusammenarbeit.“

[3] https://www.krone.at/1829020

[4] https://www.nzz.ch/international/frankreich-entstaubt-seine-afrika-politik-ld.1439104

[5] https://www.brookings.edu/multi-chapter-report/foresight-africa-tobp-priorities-for-the-continent-in-2018/

[6] LE MONDE diplomatique, Dezember 2018

[7] https://amerika21.de/print/145288

Foto: Nsala of Wala in the Nsongo District (Abir Concession). Ein Mann vor den abgehackten Gliedmaßen seiner Tochter, die von Wachen zur Eintreibung von Kautschuk für Belgiens König Leopold II getötet wurde, 14. Mai 1904 .

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