Die palästinensische Jugend, die in diesen Tagen und Wochen am Damaskustor und in den Vierteln von Silwan und Sheikh Jarrah und in Umm al-Fahem Widerstand leistet, kämpft nicht nur gegen white supremacy-Täter in Form von sogenannten „Siedlern“ und israelischen Grenzpolizisten, kämpft nicht nur gegen die völkerrechtswidrige Annexion, gegen ethnische Säuberungen, gegen Kolonisation und gegen das israelische Apartheidsystem.
Die palästinensische Jugend, die in diesen Tagen und Wochen am Damaskustor und in den Vierteln von Silwan und Sheikh Jarrah und in Umm al-Fahem Widerstand leistet, ist der bestimmende Teil in den Konfrontationen des globalen Südens mit dem Imperium. Sie ist, wie der palästinensische Freiheitskampf insgesamt seit vielen Dekaden auch, Inspiration, Vorbild und Hoffnung der Entrechteten und Verdammten von Kolumbien bis Kaschmir, von Somalia bis Bangladesch.
Diese palästinensische Jugend zögert nicht, sich den Bullen der Border Police entgegenzuwerfen, scheinbar wider jede Aussicht auf Erfolg und wider jede Vernunft. Weder Waffen noch Steine, weder politischer Zuspruch aus dem globalen Norden mit seinen heuchlerischen Institutionen und seinen blumigen Worten von Menschen- und Völkerrecht, noch die vielgerufene Internationale Solidarität steht dieser palästinensischen Jugend zur Verfügung. Bloßhändig und auf sich allein gestellt, rebelliert sie gegen die Expansion der brutalen Besatzung und Kolonisierung.
Und doch verfügt die palästinensische Jugend über etwas Bedeutendes: Würde und das historische Wissen darum, diese gegen die Entrechter und Enteigner zu verteidigen, koste es was es wolle. Die Würde lieber aufrecht zu sterben, als knieend vor den israelischen Besatzern weiterzuleben, zu vegetieren unter dem Regime der Apartheid, die jeden Tag, jede Stunde, jede Minute den PalästinenserInnen diese Würde und ihre Rechte auf ein menschenwürdiges Leben nehmen will, brechen will. Diese Würde scheint ihr, der rebellierenden palästinensischen Jugend mehr Wert zu sein, als die Unversehrtheit ihrer eigenen Haut.
Und sie weiß um die unmittelbare und brutale Konsequenz ihres Handelns, wenn sie sich der brutalen Besatzung und seinen uniformierten und zivilen, sogenannten Siedlern entgegen stellt. Denn dieser Gegner ist ein Meister im Knochen brechen.
Und mit ihrem Widerstand stellt diese palästinensische Jugend ihre eigenen Regeln und Rechte auf, abseits von verlogenen internationalen Abkommen, zahnlosem Völkerrecht, immer dünner werdenden Lippenbekenntnissen einer sogenannten Internationalen Gemeinschaft mit ihren Erklärungen und Deklarationen, die nicht das Papier wert sind. Denn sie weiß, dass sie nicht auf Dampfschiffen in das Land gekommen sind, wie Sheikh Raed Fathi sagt.
Was hingegen wissen wir, die wir hier in den Zentren des Nordens leben, Zentren, in denen diese Politik finanziert, organisiert, politisch-ideologisch und militärisch abgesichert wird?
Wir besitzen viel: Bildung, Sicherheit und fast uneingeschränkten Zugang zu Information. Doch unsere Intellektualität ist befangen. Nicht nur, weil sie aus den europäischen Wissens- und Herrschaftsfabriken entstammt, gelehrt wird von kleinen Eichmännern und –frauen, die glauben, sie seien die Sieger der Geschichte und könnten diese Geschichte schreiben. Unser Wissen und unsere Intellektualität ist auch deshalb befangen, gefangen, weil sie keine praktische Bestimmung hat.
Shahid Basil al-Araj sagte, dass Intellektualität ohne praktischen Bezug bedeutungslos ist. Und Basil al-Araj meinte nicht Hashtags als politische Arbeit und Bezug zur Praxis, andernfalls wäre er noch am Leben.
Was uns abhanden gekommen zu sein scheint, ist eine Vorstellung von Würde, Menschenwürde und das man diese auch verteidigen muss. Dieser Verlust der Vorstellung von Würde ist der Grund, warum uns hier in den Zentren der politische Gegner seinen verheuchelten Diskurs aufzwingen kann und warum wir darin gefangen bleiben, ja, ohne uns dabei gefangen zu fühlen. Doch die, die wirklich gefangen sind, eingesperrt, kontrolliert und verfolgt werden – die Menschen in Gaza oder Sheikh Jarrah, sie müssen uns zeigen, wie der Diskurs zu führen ist: indem man ihn selbstbestimmt selbst bestimmt.
Wir, die wir bestimmt werden von den Funktionsträgern, den kleinen Eichmännern und Eichfrauen in den Parlamenten und Institutionen, die uns die Notwendigkeit des Genozids ständig aufs Neue schmackhaft machen wollen und die es schaffen, uns mehr oder weniger in ihren Rahmen zu integrieren.
Doch wie Ward Churchill treffend sagt: In der Revolution gibt es keine Zuschauer. Und es gibt auch keine Zuschauer im Völkermord.Die palästinensische Jugend fordert uns auf Sheikh Jarrah zu schützen, in dem Wissen, dass nur sie selbst Sheikh Jarrah und Palästina vom Fluss bis zum Meer schützen können. Möge der Aufstand zu einer Rebellion werden, sich zu einer globalen Rebellion gegen Besatzung und Kolonisierung entwickeln. Dafür beten wir. Dafür beten wir.
Freiheit für Palästina. Vom Fluss bis zum Meer.
Dar al Janub Mai 2021
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