Eröffnungsrede zur Veranstaltung von Mag. Peter Leidenmühler Gaza 2010 – Berichte, Expertisen, Einschätzungen: Ein Jahr nach dem israelischen Angriff auf den Gazastreifen

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

Wir, der Verein für antirassistische und friedenspolitische Initiative Dar al Janub,
wollen sie recht herzlich zu dieser Veranstaltung willkommen heißen und uns für Ihr Kommen bedanken. Unser Dank gilt auch unseren Partnern vom Koordinationsforum zur Unterstützung Palästinas und der Gesellschaft für österreichisch-arabische Beziehungen, sowie unseren GastgeberInnen des Albert-Schweitzer-Hauses. Bein ihnen möchte wir uns für die Zur-Verfügung-Stellung der Räumlichkeiten bedanken. Außerdem möchten wir uns bei den zahlreichen Unterstützerinnen und Unterstützern, die uns beim Organisieren dieses heutigen Abends halfen nochmals recht herzlich bedanken.

Als eine Delegation unseres Vereins im April 2009 Palästina besuchte, trafen wir in einem Hotel in Jerusalem/Alquds auf einige Familien aus Gaza. Es waren Überlebende des Kriegs, und zählten zu den Wenigen, die nach den Bombardierungen zur ärztlichen Behandlung nach Italien ausreisen konnten. In der Hotellobby nutzten wir die Gelegenheit mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Da wir selbst nicht nach Gaza reisen konnten, war unser Interesse sehr groß. Wir wollten Einzelheiten erfahren, Augenzeugenberichte so kurz nach diesem Krieg.

Ein älterer Herr aus Gaza Stadt beantwortete unsere Frage, wie die Situation in Gaza sei mit einem einzigen Wort: “Tsunami”. Seine Frau ergänzte: “Sie schossen auf alles – Menschen, Tiere, Pflanzen. Und wir konnten nicht weg. Sie schossen sogar auf Bäume”.
Heute Abend werden Politikerinnen und Politiker, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Ärzte zu Wort kommen, die alle einen sehr klaren, wenn auch unterschiedlichen Zugang und Bezug zu Palästina haben. Expertinnen und Experten in ihrem Gebieten. Mit ihren Beiträgen, werden sie denen gerecht, die soviel Ungerechtigkeit und Teilnahmslosigkeit erlebt haben und immer noch erdulden müssen: den Menschen in Gaza.

Wir als VeranstalterInnen sind eine NGO, ein Zusammenschluss von Menschen aus der Zivilgesellschaft. Wir gehören weder bestimmten Parteien an, noch müssen wir deren Richtungen folgen, wir sind weder aufgrund diplomatischer, ökonomischer oder sonstiger Interessen unter Druck zu setzen, noch müssen wir staatlichen Stellen Rechenschaft ablegen.

Diesen Freiraum als NGO, als Teil der Zivilgesellschaft, definieren wir als Möglichkeit Brücken zu bauen, wo noch keine gebaut sind oder Themen anzusprechen, die noch auf wenigen Tagesordnungen stehen. Diesen demokratischen Raum in Europa und diese gesellschaftspolitische Möglichkeit nutzen wir gemeinsam mit vielen anderen NGOs, wichtigen Initiativen und Einzelpersonen, um marginalisierte Themen in die Öffentlichkeit zu bringen.

Diese Weisungsunabhängigkeit gegenüber staatliche Institutionen oder Parteien, bedeutet aber nicht – und das möchten wir an dieser Stelle deutlich betonen – dass wir unparteiisch wären. Die Möglichkeit und Bedeutung von NGOs besteht ja gerade darin, sich moralisch und politisch für jene stark machen zu können, denen Unrecht widerfährt, die von keiner Interessensgruppen in Brüssel, Washington oder sonst wo unterstützt werden. NGOs waren und sind es zumeist, die Unrecht aufzeigen, wenn dieses Unrecht allgemein zu Recht erklärt oder einfach als unabänderlich akzeptiert werden soll. NGOs sind gerade dort von größter Bedeutung, wo sie aufdecken, aufwecken, Fragen stellen, Antworten fordern und nicht nachlassen dazu Öffentlichkeit zu schaffen.

Und in diesem Sinne sind selbstverständlich auch wir parteilich, denn wir setzen uns dafür ein, dass auch die Stimme der Palästinenserinnen und Palästinenser gehört wird, egal welcher Partei sie angehören, welcher Religion sie folgen oder welche Staatsangehörigkeit sie derzeit zu besitzen gezwungen sind, weil Ihnen seit über 60 Jahren die palästinensische Staatlichkeit verweigert wird.

Wir sind nicht neutral, denn wir setzen uns für einen universellen Humanismus ein, der keine Rassen kennt und der Menschen nicht unterteilt in Herren- und Untermenschen.
Als europäische NGO suchen wir den Austausch und die Diskussion mit VertreterInnen und ExpertInnen aus Politik und Wissenschaft, und wir verstehen Öffentlichkeitsarbeit nicht als eine Einbahnstraße, sondern suchen die Kritik und die Diskussion als Möglichkeit der Überprüfung und Korrektur gesellschaftlicher Entwicklungen.

Aus den historischen Erfahrungen Europas müssen gerade heutige Generationen ihre Politik und Arbeit sehr sensibel und exakt formulieren. 500 Jahre Kolonialismus und Sklaverei und insbesondere die vergangenen 100 Jahre haben Zeiten und Entwicklungen hervorgebracht, in denen unsere Großeltern und Urgroßeltern scheinbar von heute auf morgen jede Moral, jedes Gewissen und jedes Mitgefühl verloren hatten. Europa hat Zeiten erlebt, und erlebt es noch heute, in denen Menschen plötzlich zu “Anderen” konstruiert wurden, in denen Menschen innerhalb und außerhalb Europas ghettoisiert, ausgegrenzt, verfolgt, kolonialisiert und sogar vernichtet wurden und werden.
Daher haben wir gerade auch als Bürgerinnen und Bürger Europas unser historisches Erbe und unser historisches Bewusstsein ständig neu zu überprüfen und über die Grenzen hinweg europäisches Handeln und europäisches Nicht-Handeln einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.

In diesem Sinne fordern wir dringend die Diskussion über eine friedliche und gerechte Lösung in Palästina ein. Wir fordern sie offen und insbesondere ohne politische Einflussnahme. Wir fordern sie gerade auch aufgrund unserer europäischen Vergangenheit.

Wir fordern die Diskussion für eine humane europäische Zukunft. Eine Zukunft des Mitgefühls, nicht nur innerhalb der europäischen Grenzen, sondern auch vor allem ein Mitfühlen mit unseren Nachbarn und den Menschen des Südens.

Umgekehrt lehnen wir es ab, wenn versucht wird über diplomatische, ökonomische oder juristische Druckmittel, politisch unbequeme Positionen zum Schweigen zu bringen. Es gibt gerade auch in Österreich leider die alte Tradition, mit ein paar Telefonaten Dinge zu regeln und politische Seilschaften zu nutzen, um brisante Themen vom Tisch zu bekommen. Doch diese Tradition ist nur alt, sie ist niemals gut, schon gar nicht gerecht und sie widerspricht den Prinzipien eines offenen, pluralistischen und demokratischen Diskurses.

Dieser Abend dient konkret der Diskussion und Information, und wir möchten Sie alle dazu einladen, die Diskussion weiterzuführen und zu vertiefen.

Die europäische Gesellschaft und Politik hat neben ihren dunklen und finsteren Epochen auch große Errungenschaften hervorgebracht, wie z.B. jene Epochen der Wiederaneignung des Dialogs, der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit. Politiker wie Bruno Kreisky oder Olof Palme zogen beispielsweise die Lehren aus der Zeit der Finsternis und versuchten, den inneren Friedensgedanken Europas umzusetzen und auch in außereuropäischen Konflikten zu vermitteln. Es wäre ein schwerwiegender Irrtum, wenn man diese Herangehensweise der aktiven europäischen Außenpolitik als veraltet oder überholt betrachtet. Diese richtungsweisende und in der Praxis erfolgreiche Politik, die das Völkerrecht als anwendbare Grundlage sah und das Recht des Stärkeren nicht zwangsläufig als “Recht” betrachtete, war und ist bis heute die einzige Politik die auf Dauer und nachhaltig den Menschen in und außerhalb Europas zu Gute kommen kann.

Daher gilt es auch die aggressive und maßlose Kriegs- und Besatzungspolitik Israels eindeutig zu verurteilen, die Abschnürung des Gazastreifen klar und unmissverständlich als inhuman, völkerrechtswidrig und ungerecht zu brandmarken und die Kollektivstrafe gegen das palästinensische Volk, weil es seine eigene Führung demokratisch gewählt hat, zu beenden. Der Angriff auf den Gazastreifen war ein Angriff auf eine schutz- und wehrlose Bevölkerung mit einer Waffentechnologie, die nach allen menschlichen Einschätzungen und völkerrechtlichen Bestimmungen verboten ist.

Was wir als europäische NGO und Teil der europäischen Zivilgesellschaft vor allem und mit äußerstem Nachdruck verurteilen, ist die Passivität der europäischen Außenpolitik, die weit über das Nichtstun hinausgeht und das Embargo, den Krieg und die Ausbeutung unter Besatzung aktiv unterstützt.

Sehr verehrte Damen und Herren, Dar al Janub versucht bereits seit 2006 eine Delegation in den Gazastreifen zu organisieren. Doch keine der verantwortliche Stelle des europäischen Außenamtes, geschweige denn das österreichische Außenministerium ist bereit NGOs oder Delegationen nach Gaza zu unterstützen. Es gibt keine offiziellen Bestimmungen für dieses Embargo gegen den Gazastreifen, es gibt nur ein Argument: die Sicherheitslage.

Dieser nicht erklärte Boykott der Menschen in Palästina und insbesondere der palästinensischen Politik ist beschämend. Während die Gräber noch frisch sind, die Verwundeten noch nicht angemessen versorgt sind, die Menschen Lehmhäuser bauen, weil der Wiederaufbau still steht, können der israelische Außenminister Liebermann und der israelische Verteidigungsminister Österreich besuchen. Das kann schon beinahe als aktive Kriegspolitik gedeutet werden, denn der eine, der rechtsextreme Liebermann lebt auf besetztem Gebiet und möchte – ich zitiere – in Gaza “keinen Stein auf dem anderen lassen” und auch zivile Ziele wie Geschäfte, Banken und Tankstellen “dem Erdboden gleichmachen” und möchte Gaza mit einer Atombombe im Meer versenken und der andere, Barak, steht einer Armee vor, die sich dem internationalen Recht entzieht und die spätestens seit dem Angriff auf den Gazastreifen gezeigt hat, dass sie sich keiner völkerrechtliche Verbindlichkeiten verpflichtet fühlt.

Diese europäische Politik des Schweigens ist fatal. Mag sie kurzweilig Ruhe bringen, wird sie die internationalen Konflikte verschärfen und auch für Europa in der Welt schwerwiegende Nachteile bringen.

Österreich beteiligt sich mit seinem Schweigen am politischen Boykott. Und es beteiligt sich an der wirtschaftlichen Ausblutung der besetzten Gebiete und insbesondere des Gazastreifens.

Europäische Staaten und Österreich könnten einfache aber klare Zeichen setzen. Noch heute könnten LKWs der EU von Ramallah oder Tel Aviv über den Checkpoint Erez nach Gaza gelangen, um die Menschen mit dem nötigsten zu Versorgen. Handelschiffe könnten sofort vor Gaza vor Anker gehen, und Grundnahrungsmittel an Land bringen.

Eines möchten wir an dieser Stelle betonen, denn in diesen Tagen ist die Haltung der ägyptischen Regierung in Bezug auf Rafah unter schwerer Kritik. Vergessen wir nicht, dass es da noch das Gaza-Grenzabkommen aus dem Jahr 2005 gibt, an dem die EU beteiligt ist. Die Beamten räumten nach der Machtübernahme durch die Hamas ihre Posten und warten irgendwo in Israel auf ihren Einsatz. Als EuropäerInnen kritisieren wir vor allem diesen Rückzug und dass man Ägypten mit dieser Herausforderung von europäischer Seite aus völlig alleine gelassen hat. Es wäre an der Zeit die Grenze wieder gemeinsam mit ägyptischen und palästinensischen Beamten zu betreuen, statt sich elegant aus der Affaire zu ziehen und die Arabische Republik Ägypten dem diplomatischen Druck alleine zu lassen.

Hier könnte gerade auch Österreich eine tragende Rolle spielen, denn während Israel Ende der 70er Jahre noch Jagd auf Yassir Arafat machte, hat Österreich bereits ein Büro der PLO in Wien eingerichtet und die PLO als Vertreterin des palästinensischen Volkes anerkannt. Und als britische Parlamentarier Ende der 80er Jahre noch “Hang Mandela” skandierten, hat Österreich den Handel mit südafrikanischen Goldmünzen eingestellt.

Der Tsunami, von dem uns der Herr aus Gaza berichtete, ist und war eine politische und von Menschenhand geplante Katastrophe. Uns gegenüber verglich er die israelischen Angriffe mit einer Naturkatastrophe, wissend, dass es gegenüber EuropäerInnen einfacher ist Mitgefühl zu wecken, wenn man sich dabei nicht politisch positionieren oder parteilich sein muss. Für einen Tsunami kann niemand etwas, einen Tsunami kann man nicht verurteilen. Doch mit einem Tsunami hatte der israelische Angriff nur sehr wenig gemein: nämlich die Willkürlichkeit, die scheinbare Hilflosigkeit, mit der die Welt tatenlos zusah und seine verheerende Zerstörungskraft. Doch im Gegensatz zu einem Tsunami gäbe es hier Mittel und Wege die Katastrophe aufzuhalten. Öffentlichkeit zu schaffen, ist ein sehr kleiner, bescheidener Teil dazu. In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihr Kommen und wünsche Ihnen einen interessanten und informativen Abend.

Vielen Dank.

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